01. Februar 2022 | Bericht
Interview mit Dr. Christof Wegscheid-Gerlach, Mitglied im Direktorium des Chemikum Marburg, zu dem großen Potential einer außerschulischen Bildungsstätte
Herr Dr. Wegscheid-Gerlach, Sie selbst sind Akademischer Oberrat, Fachbereichskoordinator und Teilprojektleiter des Projekts Öffentlichkeitsarbeit des Sonderforschungsbereichs 1083 am Fachbereich Pharmazie der Philipps-Universität in Marburg. Was motiviert Sie, sich ehrenamtlich im Chemikum Marburg zu engagieren?
Das CHEMIKUM ist ein außerschulischer Lernort, zu dem Kindergärten, Schulklassen aller Klassenstufen und VHS-Kurse kommen. In unserem Haus finden ebenfalls Kindergeburtstage Ausflüge von Jugendgruppen und Betriebsausflüge statt. Im Mittelpunkt eines Besuchs stehen Experimente und Beobachten von Phänomenen. Unsere Mitmach-Labore bieten genau das, was unsere Gäste anziehend finden: Sie wollen selbst experimentieren, naturwissenschaftliche Fragestellungen nicht nur theoretisch kennenlernen, sondern haptisch erleben, selbst ins Tun kommen und dabei Spaß haben. Und Sie lernen quasi nebenbei, wie im Labor gearbeitet wird und weitere wichtige Aspekte der Laborarbeit: Sicherheit und Entsorgung.
Natürlich schlägt mein Herz für die Pharmazie. Aufzeigen zu können, dass das Bild des Apothekers im weißen Kittel hinter einem Tresen nur ein kleiner Ausschnitt dieses Berufsbildes ist, ist mir wichtig, und dass die Pharmazie eine Kombination von MINT-Bereiche darstellt. Innerhalb des Chemikums zu begeistern für das breite Spektrum von der Chemie über die Pharmazie, zur Physik und der Informatik, die Verzahnung der klassischen Schulfächer erlebbar zu machen, das motiviert mich. Wer verstanden hat, dass für Fragestellungen der Chemie auch Grundkenntnisse in Informatik von Vorteil sind, um zum Beispiel Messgeräte umzuprogrammieren oder um große Datenmengen zu verarbeiten, nimmt die Fächer in der Schule mit einer ganz anderen Sinnhaftigkeit wahr.
Was macht das Chemikum für Schulen attraktiv?
Wir leben die Kooperation mit den Schulen und haben einzelne Themen den Lehrplänen angepasst. Einige Versuche können in der Schule aus Sicherheitsaspekten oder mangels geeigneter Geräte nicht stattfinden. Zudem sind Versuchsaufbauten sehr zeitintensiv. Lehrkräfte können ihren Schülern meist nur wenige Experimente innerhalb einer Unterrichtsstunde anbieten. Im Chemikum dagegen werden die Themenkomplexe vielfältiger bearbeitet. Die Schüler haben bei uns zum Beispiel die Möglichkeit, innerhalb von 2 Stunden 8 bis 10 Experimente durchzuführen und werden von ehrenamtlichen Helfern, Studierende des Lehramts bzw. der Naturwissenschaften unterstützt. Die Integration in den Unterricht findet mit der Vor- und Nachbereitung statt. Daraus sind feste Kooperationen mit Schulen und Kindergärten entstanden. Vom Kinderchemikum für Vorschulgruppen und Grundschüler über das Krimi-Labor „Findet den Täter“ für die Klassen 3-6, Experimente im Chemikum ab Klasse 7 und themengeführten Versuchsrunden (Alltagschemie, Redoreaktionen, etc) für die Klassen 8-11 bis hin zu Workshops zu den Themen Wasser und Klimawandel für die weiterführenden Schulen und Leistungskursworkshops für Sek II reicht unser Angebot.
Klimawandel ist eine passende Überleitung zur Nachhaltigkeit. Wie begegnen Sie diesem komplexen Thema?
Über den Sonderforschungsbereich der Philipps-Universität Marburg hat sich das Chemikum sehr intensiv erneuerbaren Energien, insbesondere Wasserstoff gewidmet. Wir wollen ein Bewusstsein schaffen, Argumente liefern, Wissen und Grundkenntnisse vermitteln. Wir lassen die Besucher erleben, wie mit einfachen Modellexperimenten aus einem diffusen Bauchgefühl messbare Ergebnisse werden. Mit diesen Aha-Erlebnissen verändert sich der Blickwinkel auf Nachhaltigkeit und die naturwissenschaftlichen Grundlagen für die Themen Klimawandel und erneuerbare Energien werden verständlich. Zusätzlich haben wir gemeinsam mit dem Landkreis Marburg-Biedenkopf, dem Carlsen-Verlag und weiteren Mitstreitern ein Pixi-Wissen zu Wasserstoff als neue Energiequelle (Bezug über das Chemikum) herausgegeben, damit auch das wichtige Thema jüngeren Schülerinnen und Schülern nähergebracht werden kann.
Welche Rolle spielt das Chemikum im regionalen Bildungskanon?
Das Chemikum ist eine feste Institution über die regionalen Grenzen des Landkreis Marburg-Biedenkopf hinaus geworden. Vor Corona hatten wir jährlich ca. 14.000 Besucher. Das war unser vertretbares Maximum, das mit dem gegebenen Personal für das betreuungsintensive Angebot gestemmt werden konnte. Die Nachfrage ist jedoch höher. Die Vorschulklassen der Kindergärten nutzen saisonale Projekte wie zu Ostern, Herbst oder Weihnachten. Über die Jugendherbergen gibt es Anfragen von Schulen, die im Rahmen ihrer Klassenfahrt ins Chemikum kommen wollen, die genannten Schulkooperationen mit weiterführenden Schulen und Schultagesausflüge nutzen unser Angebot. Mit dem Sonderforschungsbereich, der Philipps-Universität, dem Landkreis Marburg-Biedenkopf und der Universitätsstadt Marburg richten wir in diesem Jahr den SolarCup für die Region Marburg-Biedenkopf aus. Zusätzlich sind wir mobil und können zu Workshops in Schulen fahren, sind feste Partner auf Straßenfesten der Region, beim Hessentag und dem Stadtfest „3 Tage Marburg“. Im Rahmen des Stadtjubiläums Marburg800 wollen wir ein Science-Busking Angebot etablieren, wo Experimente mit einem E-Lastenrad als Transportmittel auf öffentlichen Plätzen gezeigt werden.
Das Chemikum zeigt sich und engagiert sich auf vielfältige Weise. Gibt es da noch einen Wunsch?
Zum einen erst einmal einen Dank an alle Unterstützer, ohne die das Chemikum nicht schon seit 2005 temporär und seit 2012 im Dauerbetrieb im ehemaligen chemischen Institut in der Bahnhofstraße in Marburg existieren könnte. Wir freuen uns sehr über die Kooperation mit dem VCI Hessen in diesem Jahr, mit der unsere Workshops und Projekte gefördert werden.
Es gibt sogar zwei Wünsche. Zum einen wünschen wir uns als Verein dauerhafte Unterstützung, um unsere Ressourcen von der Akquise in die vielen Bereiche der MINT-Bildung lenken zu können. Zum anderen sollte die MINT-Berufsorientierung dauerhaft finanziert werden. MINT-Berufe sind so vielfältig und bieten eine nachhaltige Perspektive für Azubis und Studierende. Die Begeisterung für MINT zu wecken und zu fördern ist eines unserer Ziele, damit der Spaß an Naturwissenschaften in der breiten Öffentlichkeit existiert und viele MINT-Berufe ergreifen.
Und wir hoffen, dass die Einschränkungen bald der Vergangenheit angehören und unser Haus wieder bis auf den letzten Platz belegt sein wird.
Kontakt
Für Fragen und Anregungen nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.
Heike Blaum
- E-Mail: blaum@vci.de