04. November 2019 | Bericht
Im Experteninterview erklärt Dr. Alexander Bode seinen Standpunkt zum Thema Digitalisierung in der Pharmabranche.
Dr. Alexander Bode ist Unternehmensgründer, Berater und zertifizierter Business-Coach mit den Schwerpunkten Innovation und Digitaler Wandel in Unternehmen und Netzwerken. In seiner Promotion untersuchte er die verteilte Wertschöpfung international tätiger Unternehmen. In Deutschland ist er als Experte im Bereich digitaler Geschäftsmodelle und Prozesse tätig und berät Unternehmen und öffentliche Institutionen.
Herr Bode, wie würden Sie – in Schulnoten ausgedrückt - den Stand der Digitalisierung in der Pharmabranche bewerten?
Bei der Bewertung des Stands der Digitalisierung müssen wir grundsätzlich zwei Felder unterscheiden. Erstens die Produkte und zweitens die Prozessebene.
Im Bereich der Produkte sehe ich eine 2 (gut). Die Pharmabranche ist sehr offen für Innovationen und neue Technologien. Vor allem, weil immense Summen in Forschung und Entwicklung für neue Medikamente und Diagnoseverfahren gesteckt werden. Neue Technologien werden dabei als hilfreiche Werkzeuge verwendet, um Entwicklungen zu beschleunigen und Produkte zu verbessern. So kann zum Beispiel Künstliche Intelligenz dazu beitragen, schneller neue Medikamente zu entwickeln oder ganz neue Diagnoseverfahren zu gestalten.
Auf der Prozessebene hingegen sehe ich eher eine 4 (ausreichend).
Wo sehen Sie den größten Nachholbedarf auf der Prozessebene?
Im Bereich der Prozessdigitalisierung liegt die Pharmaindustrie im Vergleich zu anderen Branchen hinten. Dienstleistungsbranchen sind bei der Digitalisierung natürlich im Vorteil, da sie weniger Investitionskosten in Maschinen- und Anlagen und damit weniger gebundenes Kapital haben.
Ebenso gibt es in Deutschland enorme Vorbehalte gegen digitale Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen. Vor allem die Sorge um den Datenschutz führt dazu, dass die Nutzerdaten für die Pharmabranche faktisch nicht zugänglich sind. Die Kommunikations- und Vertriebskanäle sind sehr streng reguliert (siehe zum Beispiel Online-Apotheken) und lassen für die Industrie wenig Spielraum zu.
Welche Branchen sind Ihrer Meinung nach Spitzenreiter?
Spitzenreiter im Bereich der Digitalisierung sind Branchen mit direktem Endkundenkontakt und diejenigen, die bereits einen Technologiesprung hinter sich haben. Dazu zählen vor allem die Telekommunikations- und die Medienbranche. Beide sind maßgeblich durch mobile Endgeräte wie das Smartphone revolutioniert worden. Telefonieren ist heute im Vergleich zum Datenkonsum nur noch eine Nebenfunktion und auch Zeitungen oder Musik werden nur noch digital, am besten per Flatrate konsumiert.
Die nächste große digitale Revolution findet aktuell im Finanz- und Versicherungswesen statt, wo die Blockchain-Technologie etablierte Intermediäre wie zum Beispiel Banken überflüssig macht.
Was empfehlen Sie kleinen und mittelständischen Unternehmen, die noch wenig Berührung mit dem Thema Digitalisierung haben?
Nach meiner Auffassung ist das größte Problem beim Thema Digitalisierung, dass auf allen Veranstaltungen und in vielen Publikationen ein radikaler Wandel gefordert wird. Der Mittelstand ist damit völlig überfordert und benötigt viel eher eine pragmatische Herangehensweise. Es muss nicht sofort eine komplexe Digitalstrategie mit Industrie 4.0 im gesamten Unternehmen ausgerollt werden. Vielmehr geht es darum, die größten Schmerzpunkte im Unternehmen zu identifizieren und dafür nach digitalen Lösungsansätzen zu suchen. Die zentrale Frage für den Mittelständler ist daher, mit welchem Pilotprojekt kann er den Einstieg in die Digitalisierung schaffen und wie kann er mit überschaubaren Investitionen in digitale Technologien effizienter fertigen, Qualität verbessern oder die Kundenbedürfnisse besser erfüllen.
An welchen Stellen sehen Sie den größten Handlungsbedarf bei der Digitalisierung?
In Deutschland sind wir sehr stark auf Technologien und Effizienz getrimmt, so zum Beispiel bei Industrie 4.0. Digitalisierung kann uns hierbei zu Verbesserung verhelfen, die größten Potenziale liegen aber in disruptiven Veränderungen.
Um dort hin zu kommen, müssen sich die Unternehmen klar darüber sein, dass Digitalisierung zu allererst ein kultureller Wandel ist, der in den Unternehmen auch umgesetzt werden muss. Wenn es uns gelingt, die Stärke des Menschen, vor allem Kreativität und die Fähigkeit sich zu vernetzen, mit der Stärke der Maschinen und Computer zu kombinieren, können wir noch viel mehr erreichen. Den konkreten Handlungsbedarf sehe ich hierbei vor allem in der Entwicklung ganz neuer Geschäftsmodelle und auf Seiten der Mitarbeiter im Bereich der Weiterbildung nicht nur zu mehr digitalem Know-how, sondern in Richtung ganz neuer Kompetenzen.
E-Rezept? Was sind die größten Herausforderungen und Chancen für unsere KMUs in Hessen?
Grundsätzlich ist die Einführung elektronischer Datenübertragung wie zum Beispiel ein E-Rezept ein längst überfälliger Schritt. Die Digitalisierung kann an dieser Stelle nicht nur manuelle Prozesse reduzieren, sondern gleichzeitig einen Beitrag dazu leisten, verwertbare Daten zu generieren, von denen das gesamte Gesundheitswesen profitiert. Inwiefern die Pharmaindustrie unmittelbare Chancen dadurch hat, wird sich erst nach einiger Zeit zeigen, wenn um ein E-Rezept herum ein System entsteht, welches zum Beispiel bei der Vermarktung eigener Produkte hilft. Auf der anderen Seite liegt die größte Herausforderung in der technischen Umsetzung, also einer Telematik Infrastruktur und in der Überzeugungsarbeit, dass die Nutzerinnen und Nutzer Vertrauen in die neue Technologie erhalten.
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