chemie-report-Interview

„Registrierungsdossiers stets aktuell halten“

14. Juni 2019 | Bericht

Die Europäische Chemikalienagentur ECHA kommt zu dem Ergebnis, dass bei den meisten der von ihr überprüften REACH-Registrierungsdossiers wichtige Sicherheitsinformationen fehlen. Vor diesem Hintergrund hat der „chemie report“ den Direktor der ECHA, Bjorn Hansen, interviewt. Dabei ging es um die Frage, welche Aktionen die Behörden planen und wie Chemieunternehmen ihre Registrierungsdossiers jetzt verbessern sollten.

Die ECHA ist bei der REACH-Umsetzung die treibende Kraft unter den Regulierungsbehörden. - Foto: © European Chemicals Agency
Die ECHA ist bei der REACH-Umsetzung die treibende Kraft unter den Regulierungsbehörden. - Foto: © European Chemicals Agency

chemie report: Was sind die wichtigsten Kritikpunkte an den REACH-Registrierungsdossiers? Welche Informationen müssen verbessert werden?

Bjorn Hansen: In einer Vielzahl von Registrierungsdossiers, die wir in der Agentur überprüfen, fehlen wichtige Sicherheitsinformationen. Das zeigen unsere jährlichen Erhebungen und auch beispielsweise die Studie aus dem letzten Jahr vom Bundesinstitut für Risikobewertung.

Insbesondere sehen wir Lücken bei den Informationen zur Toxizität in der pränatalen Entwicklung und in der Reproduktion, zur Mutagenität, zu Effekten bei Langzeitexposition sowie zu Langzeiteffekten auf die Gewässerumwelt. In der Regel bekommen wir diese Informationen auf Anforderung von den Unternehmen und diese entsprechen dann den REACH-Anforderungen, aber eben nur nach Aufforderung.

Wir würden gern sehen, dass die Unternehmen ihre Registrierungsdossiers als Aushängeschild verwenden, die zeigen: Ein vollständiges Dossier mit den erforderlichen Daten ist eine Zukunftsinvestition, hin zu Nachhaltigkeit, Vorhersehbarkeit und einer funktionierenden Kommunikation in der Lieferkette.

Welche Maßnahmen oder Vorschriften sind von den Behörden geplant, um eine Verbesserung der Registrierungsdossiers zu erreichen? Wie viele sollen bis wann überprüft werden?

Wir arbeiten bereits an den Vollständigkeitsprüfungen. Das ist unser gesetzlicher Auftrag. Die Transparenz, die wir zu unserer Arbeit geschaffen haben, zeigt Unternehmen, welche Dossiers untersucht werden.

Zusammen mit der Kommission arbeiten wir zudem an einer Reihe von Maßnahmen, um die Compliance-Rate zu verbessern. Das ist eines der Kernergebnisse der Überprüfung der REACH-Verordnung und Teil unserer im Dezember verabschiedeten 5-Jahres-Strategie mit dem Ziel, das gegenwärtig in REACH verankerte Mindestziel von 5 Prozent überprüfter Registrierungsdossiers in allen Tonnagebändern anzuheben. Diesen Plan wollen wir im Sommer vorlegen. [Update 24. Juni 2019: Der Aktionsplan liegt vor.] Er beinhaltet auch intern eine Reihe von Änderungen, da wir unsere Ressourcen entsprechend neu ausrichten müssen, hin zur Evaluierung, aber auch zu Zulassungsverfahren als einem weiteren Arbeitsschwerpunkt. Zudem braucht es die Durchführungsverordnung zu Dossier-Updates. Die offene Formulierung im Gesetz, wann ein Update notwendig ist, bedarf der Konkretisierung. Ich hoffe, dass die Unternehmen dadurch ein höheres Maß an Rechtssicherheit bekommen.

Es wurde erkannt, dass ein Durchführungsrechtsakt erforderlich ist, um die rechtlichen Anforderungen für die Aktualisierung von Dossiers zu präzisieren. Derzeit schreibt die REACH-Verordnung vor, dass Unternehmen ihre Registrierungen „unverzüglich“ mit relevanten neuen Informationen aktualisieren müssen.

Bjorn Hansen - Foto:
Bjorn Hansen - Foto: © European Chemicals Agency

„Zusammen mit der Kommission arbeiten wir an einer Reihe von Maßnahmen, um die Compliance-Rate zu verbessern. Es wurde erkannt, dass ein Durchführungsrechtsakt erforderlich ist, um die rechtlichen Anforderungen für die Aktualisierung von Dossiers zu präzisieren.“

Bjorn Hansen, Direktor der Europäischen Chemikalienagentur ECHA








Wie wird die ECHA dabei mit nationalen Behörden zusammenarbeiten?

Wir sind sehr aktiv in der Zusammenarbeit mit den Behörden der Mitgliedstaaten, die ja unsere Entscheidungen mittragen müssen und in die Bewertung eingebunden sind. Mit dem Public-Activities-Coordination-Tool zeigen wir stoffbezogen, wer woran arbeitet – ein wichtiger Bestandteil unseres strategischen Zieles, besorgniserregende Stoffe zu benennen und zu regulieren, wo das notwendig ist. Mit den Mitgliedstaaten geht es um eine Intensivierung auf Grundlage der vertrauensvollen und guten Zusammenarbeit. Wir schaffen auch ein höheres Maß an Integration zwischen der Stoffbewertung, mit der Federführung in den Mitgliedstaaten, und der Dossierbewertung bei der ECHA. Zu wissenschaftlichen Themen besteht ein reger Austausch, und bilateral stimmen wir uns regelmäßig ab. Es ist wichtig, dass wir für die Unternehmen transparent und nachvollziehbar handeln.

Die REACH-Verordnung schreibt vor, dass Tierversuche nur als letztes Mittel durchgeführt werden dürfen. Stattdessen sind, sofern möglich, alternative Informationen zu verwenden. Offensichtlich gibt es gerade zu diesem Punkt unterschiedliche Ansichten und Bewertungsstandards. Wie sollen die Unternehmen mit dieser Situation umgehen?

Wir nehmen alle Ziele von REACH ernst und unterstützen die Anwendung von Alternativmethoden anstelle von Tierversuchen. Unsere Praxisanleitung gibt konkrete Handlungsanweisungen dazu (siehe Mehr-zum-Thema-Links unten auf dieser Seite).

Die sichere Verwendung von Chemikalien ist und bleibt jedoch oberstes Ziel. Es ist sicherlich problematisch, dass die regulatorische Akzeptanz von Alternativen zum Tierversuch nicht in der von der Industrie erwarteten Geschwindigkeit vonstattengeht. Jedoch wurde von Registranten die „Anpassung von Informationsanforderungen“ als Alternative zum Tierversuch in höherem Maße genutzt, als dies aufgrund der bestehenden Datendichte zu erwarten gewesen wäre. Dieser Druck, solche Anpassungen zu verwenden, könnte zu einer Situation geführt haben, in der viele Chemikalien aktuell als weniger gefährlich angesehen werden, als sie es tatsächlich sind. Der springende Punkt ist hierbei, dass bei unerfüllten Informationsanforderungen bestimmte Effekte einer Substanz nicht erkannt werden. Dies ist wahrscheinlich nicht für alle Registrierungen mit unerfüllten Informationsanforderungen der Fall, aber die grundlegende Sorge ist berechtigt. Dies bestätigen experimentelle Versuchsergebnisse, die erst auf unsere Aufforderung hin stattfanden.

Sicher ist es nicht zielführend, wenn die Unternehmen jetzt parallel zu den Überprüfungen der ECHA die gleichen Registrierungsdossiers anschauen und unkoordiniert Verbesserungen vornehmen. Wie wird die ECHA auf Basis des Joint Statements mit dem europäischen Chemieverband Cefic zusammenarbeiten? Wie könnte eine Arbeitsteilung und eine Prioritätensetzung aussehen?

Die Umsetzung des Kooperationsabkommen mit Cefic könnte zum Beispiel beinhalten, dass Behörden und Industrie die gemeinsamen Bemühungen um die Verbesserung der Registrierungsdossiers besser koordinieren. Das bedeutet nicht, dass wir freiwillige Selbstvereinbarungen anstreben, sondern dass wir, zum Beispiel, die Zeitpläne für die Verbesserungen der Dossiers auf Industrieseite und die anschließende Überprüfung seitens der Behörden abstimmen und realistische Zielsetzungen vereinbaren. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass alle Dossiers rechtskonform werden und die Bürgerinnen und Bürger sich auf die Schutzwirkung des europäischen Chemikalienrechts verlassen können.

Was sollten Chemieunternehmen jetzt konkret tun, um ihre Registrierungsdossiers zu verbessern und um Nachforderungen der ECHA zukünftig weitestgehend zu vermeiden?

Unternehmen sollten ihre Registrierungsdossiers stets auf einem aktuellen Stand halten. Nach der wichtigen Hürde der Registrierung geht es darum, dass tatsächlich die Anforderungen, die REACH stellt, erfüllt werden. Hier sind in vielen Fällen weitere Anstrengungen erforderlich, um den sicheren Umgang mit Stoffen zu dokumentieren und der Verantwortlichkeit für Herstellung oder Import gerecht zu werden, die den Unternehmen obliegt. Unsere Leitlinien konkretisieren, was an Daten erforderlich ist und wie Alternativen zu experimentellen Studien funktionieren. Ein Registrierungsdossier, das jüngst aktualisiert wurde und aus dem sich beispielsweise ergibt, dass die Leitlinien der ECHA zum Read-Across befolgt wurden, demonstriert: Es ist uns wichtig, den sicheren Umgang zu gewährleisten für unsere Kunden, Konsumenten und die Umwelt.

Die Fragen stellte Michael Lulei.

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Am 28. November 2019 lädt der VCI seine Mitgliedsunternehmen zu einer großen Infoveranstaltung zum Thema „REACH und CLP" ein. Sobald nähere Details dazu verfügbar sind, finden Sie an dieser Stelle einen entsprechenden Link.


Dieses Interview ist im chemie report 06+07/2019 erschienen.

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Dr. Angelika Hanschmidt

Dr. Angelika Hanschmidt

Europäische Chemikalienpolitik, EU-Chemikalienstrategie, REACH

Dr. Michael Lulei

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Abteilungsleitung Produktsicherheit, Internationale Chemikalienpolitik, Produkt- und Chemikaliensicherheit