06. August 2019 | Position
Langfassung zu diesem Dokument
Die energieintensiven Industrien (EID) leisten aktiv einen Beitrag zum Klimaschutz und verbessern fortlaufend ihre Energieeffizienz. Auch ihre Produkte tragen wesentlich zur Umsetzung von Energiewende und Klimaschutz bei. Die EID begrüßen, dass die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (KWSB) einen Abschlussbericht vorgelegt hat. An einigen Stellen gibt es jedoch dringenden Bedarf zur weiteren Konkretisierung. Dieser wird in der Bewertung der EID näher erläutert.
Positionspapier
der Energieintensiven Industrien
in Deutschland (EID)
Die energieintensiven Industrien leisten aktiv einen Beitrag zum Klimaschutz und verbessern fortlaufend ihre Energieeffizienz. Sie sind bereits umfassend durch das europäische Emissionshandelssystem reguliert. Darüber hinaus tragen die Produkte der energieintensiven Industrien wesentlich zur Umsetzung von Energiewende und Klimaschutz bei. Sie sind mit ihren Grund- und Werkstoffen unverzichtbarer Startpunkt für die Wertschöpfungsketten in Deutschland und Europa. Um ihre Produkte bereitzustellen, müssen die energieintensiven Branchen große Mengen Energie einsetzen und schultern damit den Energie- und Treibhausgasrucksack für die nachfolgenden Produktionsstufen.
Für die EID-Branchen ist Strom daher ein essenzielles Produktionsmittel, das rund um die Uhr in hoher Qualität zur Verfügung stehen muss. Gleichzeitig stehen energieintensive Unternehmen mit ihren Produkten in einem internationalen Wettbewerb. Anders als die lokalen Stromproduzenten, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen, können sie steigende Stromkosten nicht an ihre Kunden weitergeben. Daher müssen Strompreise am Standort Deutschland auch international wettbewerbsfähig sein.
Bezahlbare und sichere Stromversorgung sowie stabile Netze sind, auch vor dem Hintergrund eines frühzeitigen Kohleausstiegs, für die energieintensiven Industrien in Deutschland prioritär.
Die EID begrüßen, dass die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (KWSB) einen Abschlussbericht vorgelegt hat und erkennen die Bemühungen zur Kompromissfindung an. Wir sehen an einigen Punkten jedoch noch dringenden Bedarf zur weiteren Konkretisierung, um die Empfehlungen der KWSB mit Leben zu füllen.
1. Versorgungssicherheit ist Lebenselixier für energieintensive Industrie
Es ist von größter Wichtigkeit, die Leistungsbilanz der Stromversorgung bis 2023 im Vorhinein – vor der Stilllegung von insgesamt 23,5 GW gesicherter Erzeugungsleistung in Form von Kohle- und Nuklearverstromungskapazitäten – detailliert zu analysieren. Eine erste Evaluierung im Jahr 2023, wie im Bericht vorgesehen, d.h. nach bereits erfolgter Stilllegung, ist die falsche Reihenfolge. Aus Sicht der EID ist es notwendig, das Monitoring mit dem Einleiten der Maßnahmen zu beginnen, sodass frühzeitig auf Fehlentwicklungen reagiert und gegengesteuert werden kann. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass 2022 der Ausstieg aus der Kernenergie vollzogen sein wird. Die EID fordern die Bundesregierung auf - vor Einleitung des Kohleausstiegs - entsprechende Analysen vorzulegen. Im Falle einer zu erwartenden Versorgungsunterdeckung müssen entsprechende Konsequenzen gezogen werden, um den Ausstiegspfad zeitlich anzupassen. Sollten Kapazitätsmärkte mit Investitionszuschüssen für neue Kapazitäten die Folge sein, darf die Finanzierung nicht über Umlagen auf die Verbraucher abgewälzt werden, sondern muss aus Haushaltsmitteln erfolgen.
Aus EID-Sicht bedarf es einer validen Definition von „Versorgungssicherheit“. Grundlage hierfür sollte die Verfügbarkeit gesicherter Leistung unter Berücksichtigung vertraglich gesicherter Leistung aus dem Ausland in Relation zur erwarteten Jahreslastspitze inklusive einer Sicherheitsmarge sein. Maßnahmen wie Stresstests, effizienter Einsatz bestehender Reservekapazitäten u.a. sollten den Kohleausstieg aus Sicht der Versorgungssicherheit flankieren.
Neben der Frage um die Versorgungssicherheit geht es dabei auch um die Frage der Versorgungsqualität. Die Versorgungsqualität – also die Stromversorgung rund um die Uhr mit einer bestimmten Frequenz ohne Spannungsschwankungen – ist ein zentraler Standortfaktor für die industrielle Produktion in Deutschland, gerade mit
zunehmender Digitalisierung und Vernetzung der Produktionsprozesse (Industrie 4.0). Bereits heute führen kurzzeitige Spannungseinbrüche zu Störungen und Produktionsausfällen an hochautomatisierten Anlagen und stellen in diesem Zusammenhang Gefahren für Mensch und Maschine dar.
Zur Überprüfung der Versorgungsqualität müssen objektive Kriterien definiert und regelmäßig überprüft werden. Bisher werden mit dem SAIDI-Wert nur Unterbrechungen über 3 Minuten gemessen. Für das produzierende Gewerbe reicht
diese Betrachtung jedoch nicht aus. Schon Unterbrechungen und Spannungsschwankungen im Millisekundenbereich können erhebliche negative Auswirkungen haben und müssen daher zukünftig von einem Monitoring der Versorgungssicherheit abgedeckt sein.
Bisher ist keine Institution klar für Versorgungssicherheit zuständig. Da das Thema angesichts des Ausstiegs aus der Kohleverstromung und dem Ausstieg aus der Kernenergie an Bedeutung gewinnen wird, fordern die EID, einen Verantwortlichen für Versorgungssicherheit zu ernennen.
2. Energieintensive Industrie braucht eine Kompensation für den erwarteten steigenden Strompreis
Eine politisch induzierte Reduzierung der Kohleverstromung führt zu einem Anstieg des Börsenstrompreises, weil preiswerte Kraftwerke durch teurere Kraftwerke ersetzt werden müssen. Durch den verstärkten Einsatz teurerer Kraftwerke steigen die Kosten für die marginale Erzeugung der Kilowattstunde Strom, was sich in einem höheren Preis je Kilowattstunde widerspiegelt. Das Resultat ist eine signifikante Mehrbelastung der Verbraucher – zusätzlich zu den bereits bestehenden staatlichen Abgaben und Steuern auf den Strompreis.
Einem Gutachten von Aurora Energy Research (im Auftrag von BDI/DIHK) zufolge führen Kraftwerksstilllegungen in 2030 zu einem Strompreisanstieg zwischen 4 und 14 Euro/MWh (0,4 und 1,4 Ct/kWh), je nach Szenario. Bei Unternehmen der energieintensiven Industrie, die emissionshandelspflichtig sind, liegt die Mehrbelastung laut Aurora-Gutachten oberhalb der 14 Euro und kann bis zu 19 Euro je Megawattstunde (1,4 bis 1,9 Ct/kWh) betragen. Dies droht die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland und insbesondere auch der Grundstoffindustrien als Basis der industriellen Wertschöpfungsketten erheblich zu beeinträchtigen. Aus Sicht der EID sind die Vorschläge der KWSB zu Kompensationsmaßnahmen für die energieintensive Industrie daher unbedingt umzusetzen.
So soll etwa gemäß dem KWSB-Abschlussbericht ab 2023 ein Zuschuss auf die Übertragungsnetzentgelte eingeführt werden. Hierbei handelt es sich um eine indirekte Kompensation, die eine Entlastung für den allgemeinen Verbraucher erbringen soll. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Manche Unternehmen erhalten jedoch als Gegenleistung für ihr systemdienliches Abnahmeverhalten (kontinuierliche Bandlast oder atypische Netznutzung) ein individuelles, reduziertes Netzentgelt. Daher bewirkt ein Absenken des Netzentgeltniveaus gerade in den energieintensiven Industrien in der Breite keinen Entlastungseffekt.
Da aber gerade diese Unternehmen in besonderer Weise von den absehbaren Preissteigerungen infolge des beschleunigten Kohleausstiegs betroffen sein werden, wird die Bundesregierung im KWSB-Bericht aufgefordert, zusätzlich ein entsprechendes beihilferechtskonformes Instrument zu entwickeln. Diese Empfehlung ist begrüßenswert, denn die Formulierung lässt ausreichend Spielraum, damit Bundesregierung, EU-Kommission und Industrie gemeinsam eine Lösung finden können. Allerdings kommt es nun auf die Umsetzung dieser Forderung an. Die Bundesregierung muss ein solches Instrument zur Kompensation des Preiseffektes entwickeln und dies auch in Brüssel mit der EU-Kommission umsetzen. Beihilferechtlich motivierte Kumulationsverbote für Entlastungen sollten dabei unterbleiben.
Die KWSB empfiehlt weiterhin die ETS-Strompreiskompensation (SPK) zu verstetigen und fortzuentwickeln. Da die SPK in ihrer derzeitigen Form die indirekten ETS-Kosten nicht für alle energieintensiven Branchen und dort auch nur teilweise kompensiert, reicht jedoch allein eine Fortführung dieses Instrumentes nicht aus. Vielmehr muss eine grundlegende Verbesserung der ETS-SPK im Rahmen der aktuellen Überarbeitung des Systems erfolgen, um eine vollumfängliche Kompensation sicherzustellen, damit gerade angesichts des massiven und fortgesetzten Anstiegs des CO2-Preises keine zusätzlichen Belastungen resultieren. Dies ist aus Sicht der energieintensiven Industrien eine zwingend notwendige Maßnahme, die von der Bundesregierung mit großem politischen Engagement in Brüssel vorgetragen werden muss.
Kritisch wird auch die empfohlene Löschung von Zertifikaten gesehen: Die Definition der „richtigen“ Menge an zu löschenden Zertifikaten ist mit hohen Unsicherheiten behaftet und wirkt unmittelbar preistreibend. Zudem ist die Löschung auf nationaler Ebene kontraproduktiv, weil sie unmittelbar zu Einnahmeausfällen bei den Auktionen führen wird und das Ziel einer Verringerung der Zertifikate auf europäischer Ebene bereits durch den Mechanismus der Marktstabilitätsreserve gesichert ist, ohne dass dabei selektiv der deutsche Haushalt beeinträchtigt würde. Die EID plädieren dafür, stattdessen die nicht benötigten Zertifikate für unvorhergesehene Entwicklungen in einer Reserve zur Seite zu legen.
3. Regelmäßige Überprüfung der Konsequenzen des frühzeitigen Kohleausstiegs ist wichtig
Der Kommissionsbericht sieht eine Bewertung in den Jahren 2023, 2026 und 2029 vor. Es soll geprüft werden, welche Auswirkungen die bis dahin jeweils umgesetzten Maßnahmen mit Bezug auf Versorgungssicherheit, Strompreisniveau, Klimaschutz, Weiterentwicklung des EU-Beihilferechts und Strukturentwicklung, auch vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Kernkraft im Jahr 2022, haben werden.
Diese Haltepunkte sind besonders wichtig. Unabdingbar ist der Beginn der Evaluierung bereits vor Einleitung des Kohleausstiegs und somit weit vor dem ersten Haltepunkt, wie oben beschrieben. Gegebenenfalls müssen die weiteren Haltepunkte vorgezogen werden, um Versorgungssicherheitslücken gar nicht erst entstehen zu lassen.
Bislang ist völlig ungeklärt, auf welcher Grundlage die Prüfungen an den Haltepunkten vorgenommen werden sollen. Hierfür müssen jetzt belastbare Prüfkriterien entwickelt werden. Ebenfalls ungeklärt sind die Konsequenzen der Überprüfungen. Aus Sicht der EID muss eine positive Bewertung zu diesen Punkten Bedingung für weitere Abschaltungen sein. Ein Nicht-Erfüllen der Kriterien muss dagegen mindestens zu einer Entschleunigung des Kohleausstiegs führen. Dies gilt auch, wenn es bis 2023 nicht gelungen ist, die empfohlenen Kompensationsmaßnahmen für die Stromverbraucher einzuführen.
Schließlich ist auch unklar, wie die Expertenkommission, die die Haltepunkte bewertet, besetzt sein soll und wie genau die Kriterien bewertet werden (bspw. welche Mindestwerte für Versorgungssicherheit werden definiert?). Diese Fragen müssen dringend geklärt werden. In der KWSB war die Sicht der energieintensiven Industrien nicht berücksichtigt. Dies sollte in einem Gremium, das über die Haltpunkte entscheidet, anders sein: Die energieintensiven Industrien als größter Stromverbraucher in Deutschland sollten Teil des Gremiums sein.
Fazit
Hinweis:
Mit den obigen Motiven werben die energieintensiven Branchen auch in den sozialen Netzwerken für ihre Anliegen - zum Beispiel auf
Twitter
. Schauen Sie rein und diskutieren Sie mit!
Mehr zum Thema