Bestandsaufnahme und VCI-Position zur Kohlendioxid-Bepreisung

Klimaschutzdebatte in Deutschland weitet sich aus

22. Mai 2019 | Bericht

Mit den Schülerstreiks „Fridays for Future“ ist die Klimaschutzdebatte in Deutschland in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Aktion befördert die Debatte über das Für und Wider einer Bepreisung von Kohlendioxid, die Hochkonjunktur im politischen Berlin hat. Dabei wird auch über eine Erweiterung des Emissionshandels diskutiert. Gleichzeitig schwebt über allem die notwendige Umsetzung der Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ zum Kohleausstieg bis spätestens 2038.

Schüler in ganz Deutschland gehen auf die Straße. Sie setzen sich auf den Demonstrationen „Fridays for Future“ für mehr Klimaschutz ein. Eltern und Lehrer solidarisieren sich mit der Bewegung. - Foto: © picture alliance/Geisler-Fotopress
Schüler in ganz Deutschland gehen auf die Straße. Sie setzen sich auf den Demonstrationen „Fridays for Future“ für mehr Klimaschutz ein. Eltern und Lehrer solidarisieren sich mit der Bewegung. - Foto: © picture alliance/Geisler-Fotopress

Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen hat sich die Bundesregierung ein politisches Ziel gesetzt: Die Partner haben im Koalitionsvertrag die Verabschiedung einer gesetzlichen Regelung zum Klimaschutz bis zum Ende dieses Jahres vereinbart. Sie soll das für 2030 festgelegte Minderungsziel von minus 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sicherstellen. Vorausgegangen war die Erkenntnis, dass Deutschland das für 2020 festgelegte Ziel von minus 40 Prozent deutlich verfehlen wird.

INFOGRAFIK: Globale, europäische und nationale Klimaziele

Prozentangaben = Rückgang Treibhausgasemissionen gegenüber 1990

Unterschiedliche Geschwindigkeiten: Die globale Temperaturerhöhung soll laut Beschluss des Weltklimagipfels von Paris deutlich unter 2 Grad begrenzt werden. Die mittel- und langfristigen Klimaziele Deutschlands sind ambitionierter als die der EU. Weitgehende Treibhausgasneutralität soll bis zur Mitte dieses Jahrhunderts erreicht werden. Quelle: VCI. - Klick auf die Grafik vergrößert sie! - Grafik und Bilder:
Unterschiedliche Geschwindigkeiten: Die globale Temperaturerhöhung soll laut Beschluss des Weltklimagipfels von Paris deutlich unter 2 Grad begrenzt werden. Die mittel- und langfristigen Klimaziele Deutschlands sind ambitionierter als die der EU. Weitgehende Treibhausgasneutralität soll bis zur Mitte dieses Jahrhunderts erreicht werden. Quelle: VCI. - Klick auf die Grafik vergrößert sie! - Grafik und Bilder: © VCI; s4svisuals - Fotolia.com (Weltkugel); kreatik - Fotolia.com (Europaflagge); 12ee12/stock.adobe.com (Deutschlandflagge),

Nach den noch vorläufigen Berechnungen des Umweltbundesamtes haben sich im Jahr 2018 die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Vorjahr um 41 Millionen Tonnen oder 4,5 Prozent deutlich auf 866 Millionen Tonnen verringert. Im Wesentlichen ist dies aber auf Witterungseinflüsse zurückzuführen. Im Vergleich zum Bezugsjahr 1990 beträgt die Einsparung jetzt 30,8 Prozent. Da der Rückgang im Wesentlichen aufgrund von Sondereffekten erfolgte und nicht zu erwarten ist, dass im laufenden Jahr die Emissionen weiter spürbar sinken, ist das Ziel von minus 40 Prozent bis 2020 nicht mehr zu erreichen. Dabei ist wichtig zu wissen, dass Industrie und Energiewirtschaft ihren Beitrag zur Minderung erfolgreich geleistet haben: Ihr Anteil an den Treibhausgasen ist seit 1990 um knapp ein Drittel gesunken. Der Fehlbetrag in der nationalen Bilanz ist im Wesentlichen auf zu geringe oder keine Minderungen in anderen Sektoren, vor allem beim Verkehr, zurückzuführen. Die Bundesregierung wird jetzt Geld in die Hand nehmen müssen, um in anderen europäischen Staaten, die ihre Ziele übererfüllt haben, Gutschriften aufzukaufen.

INFOGRAFIK: Deutsche Treibhausgasemissionen 1990 bis 2018

In Millionen Tonnen CO2-Äquivalente

Emissionshandel wirkt: Deutschland hat seinen Treibhausgasausstoß seit 1990 um 30,8 Prozent gesenkt. Industrie und Energiewirtschaft fuhren ihre gemeinsamen Emissionen noch stärker zurück (–32,4 Prozent), während der Verkehrssektor auf der Stelle tritt (–0,6 Prozent). Quelle: UBA, Stand: 04/2019. - Klick auf die Grafik vergrößert sie! - Grafik:
Emissionshandel wirkt: Deutschland hat seinen Treibhausgasausstoß seit 1990 um 30,8 Prozent gesenkt. Industrie und Energiewirtschaft fuhren ihre gemeinsamen Emissionen noch stärker zurück (–32,4 Prozent), während der Verkehrssektor auf der Stelle tritt (–0,6 Prozent). Quelle: UBA, Stand: 04/2019. - Klick auf die Grafik vergrößert sie! - Grafik: © VCI

Nationales Klimaschutzgesetz kommt

Um die Zielerreichung für 2030 (minus 55 Prozent) sicherzustellen, soll nun ein nationales Klimaschutzgesetz verabschiedet werden. Das Umweltministerium hat Anfang des Jahres erste Ideen in die Diskussion eingebracht, die aber auf wenig Unterstützung innerhalb der Bundesregierung trafen. So sollten die einzelnen Ministerien für ihre relevanten Sektoren die Verantwortung für die Umsetzung entsprechender Sektorziele und die volle – vor allem auch finanzielle – Haftung bei Nichterreichung übernehmen. Als erste Reaktion ist Mitte März ein Klimakabinett aus den betroffenen Ministerien ins Leben gerufen worden. Der VCI hatte diese Maßnahme schon vor gut einem Jahr gefordert. In diesem Ministerausschuss sollen nun alle weiteren Diskussionen für eine Klimaschutzgesetzgebung geführt werden.

Der Koalitionsausschuss von Union und SPD hat ein Klimakabinett eingerichtet, dem zum Beispiel das Umwelt-, das Finanz-, das Wirtschafts- und das Verkehrsministerium angehören. - Foto:
Der Koalitionsausschuss von Union und SPD hat ein Klimakabinett eingerichtet, dem zum Beispiel das Umwelt-, das Finanz-, das Wirtschafts- und das Verkehrsministerium angehören. - Foto: © picture alliance/dpa

Neben der Festlegung von Zielen soll es bei der Gesetzgebung auch um die erforderlichen Maßnahmen in den einzelnen Sektoren gehen. Konkret wird hier an zwei Stellen diskutiert: Zum einen stecken die im Frühjahr verabschiedeten Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ das Programm für die Energiewirtschaft ab. Jetzt geht es um die legislative Umsetzung der Maßnahmen. Ein erster Schritt wird im Wesentlichen regeln, wie die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen finanziell unterstützt werden. Der Ausstiegspfad selbst und die begleitenden Vorschriften sollen dann in einer zweiten gesetzlichen Regelung zum Jahresende hin festgezurrt werden. Hier muss aus Sicht der chemischen Industrie vor allem darauf geachtet werden, dass die Versorgungssicherheit für Strom gewährleistet ist und Kompensationsmaßnahmen die Industrie von den zusätzlichen Kosten durch den Kohleausstieg entlasten.

Ein zweites Diskussionsfeld ist die Frage, ob und wie eine CO2-Bepreisung als Steuerungsinstrument helfen kann, die Reduktionsziele bis 2030 zu realisieren. Verschiedene Ideen werden von Parteien, Ökonomen, NGOs und Klimaexperten derzeit diskutiert – von einer aufkommensneutralen Steuer für alle über eine Abgabe nur in einzelnen Sektoren, einem Mindestpreis für Zertifikate im EU-Emissionshandel (ETS) bis hin zu einer Ausweitung des bestehenden Handelssystems auf alle Sektoren. Die chemische Industrie hat zu diesen Ideen eine dezidierte Meinung, die sie in die Diskussion einbringen wird:

Kernpositionen des VCI zur Bepreisung von Kohlendioxid

  • Aus Sicht der Branche sind globale Systeme zur Bepreisung von CO2 den europäischen oder nationalen Systemen vorzuziehen. Nur ein einheitliches globales Bepreisungssystem schafft aus Sicht der im globalen Wettbewerb stehenden Industrie das notwendige Level-playing-field.
  • Auf europäischer Ebene ist der EU-Emissionshandel zur Ermittlung eines CO2-Preises einer politisch festgelegten Steuer überlegen, weil das ETS volkswirtschaftlich kosteneffizienter und treffsicherer in seiner Wirkung ist.
  • Eine EU-CO2-Steuer und insbesondere auch eine nationale CO2-Steuer erfordern – vergleichbar mit dem jetzigen EU-Emissionshandel – effektive Maßnahmen zum Schutz vor Carbon-Leakage für die Industrie, die in der Regel als Beihilfe geprüft und genehmigt werden müssten. Sie sind damit immer mit Unsicherheiten für die Unternehmen verbunden.
  • Ein europäischer Mindestpreis im ETS unterläuft den Zweck des Emissionshandels, Klimaschutz so kostengünstig wie möglich zu erreichen. Ein nationaler Mindestpreis im europäischen Zertifikatehandel könnte sogar zu Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas führen, die zusätzliche Maßnahmen zum Schutz vor Carbon-Leakage notwendig machen – mit anschließender Prüfung durch die EU-Kommission, ob diese genehmigungsfähig sind.
  • Mischsysteme oder parallele Systeme zur Bepreisung von CO2, die gleichzeitig auf Mengen (EU-Emissionshandel) und Preise (Steuer oder ein Mindestpreis) einwirken, führen auf jeder Ebene – global, europäisch und national – zu Ineffizienzen. Eine solche Kombination verhindert die Ausrichtung auf eine kosteneffiziente Zielerreichung und sollte deshalb nicht weiterverfolgt werden.
  • Eine nationale Steuer nur auf Energieträger für Sektoren außerhalb des ETS müsste in ihrer Wirkung und Ausgestaltung geprüft werden.


Dieser Artikel ist im chemie report 05/2019 erschienen.

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Dr. Jörg Rothermel

Dr. Jörg Rothermel

Bereichsleitung Energie, Klimaschutz und Rohstoffe